@book{vonArnimSchurig2004, author = {Hans Herbert von Arnim and Martin Schurig}, title = {Die EU-Verordnung {\"u}ber die Parteienfinanzierung}, publisher = {LIT-Verlag}, address = {M{\"u}nster}, url = {https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0246-opus4-4477}, pages = {142}, year = {2004}, abstract = {Art. 191 EGV schreibt \"politischen Parteien auf europ{\"a}ischer Ebene\" bestimmte Funktionen zu und erm{\"a}chtigt Parlament und Rat, den Status dieser Parteien und ihre Finanzierung aus dem EU-Haushalt zu regeln. Auf dieser Grundlage wurde im Jahre 2003 die europ{\"a}ische Parteienverordnung erlassen, deren Finanzierungsvorschriften am 20. Juli 2004 in Kraft getreten sind. Als \"politische Partei auf europ{\"a}ischer Ebene\" definiert die Verordnung eine \"politische Partei\" (Vereinigung von B{\"u}rgern) oder ein \"B{\"u}ndnis politischer Parteien\" (strukturierte Zusammenarbeit mindestens zweier politischer Parteien), welche(s) in mindestens einem Viertel der 25 Mitgliedstaaten erfolgreich ist. Wer in sieben L{\"a}ndern zumindest bei den Regionalwahlen Abgeordnete in die Volksvertretung entsenden kann, bekommt EU-Geld. Jedenfalls wird er an einem Topf beteiligt, der 15 Prozent der gesamten {\"o}ffentlichen Mittel umfasst. Den L{\"o}wenanteil von 85 Prozent teilen dagegen diejenigen unter sich auf, die zus{\"a}tzlich bei Europawahlen erfolgreich sind. Dies sind die derzeit bestehenden B{\"u}ndnisse politischer Parteien, auf die die Verordnung offenbar gem{\"u}nzt ist: die \"Sozialdemokratische Partei Europas\" (SPE) als Zusammenschluss der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien, die \"Europ{\"a}ische Volkspartei\" (EVP) als Organisation des b{\"u}rgerlich-konservativen Lagers, die \"Liberale und Demokratische Partei Europas\" (LIBE) als Zusammenschluss der liberalen Parteien, die \"Europ{\"a}ische Freie Allianz\" (EFA) als F{\"o}deration regionalistisch orientierter Parteien und die \"Europ{\"a}ische Gr{\"u}ne Partei\" (EGP) als Dachorganisation der Gr{\"u}nen Parteien. Hinzu kommt die Partei der Europ{\"a}ischen Linken (EL) als Zusammenschluss der nicht sozialistischen Linken, die sich noch vor der Europawahl konstituiert hat. Die vorgesehene {\"o}ffentliche Finanzierung europ{\"a}ischer Parteib{\"u}ndnisse widerspricht den in der Bundesrepublik Deutschland entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen eklatant. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Beurteilungsgrunds{\"a}tze binden europ{\"a}ische Organe zwar nicht. Sie sind aber keinesfalls bedeutungslos, weil sie, zumindest in Deutschland, politische Wirkung entfalten k{\"o}nnen. Zudem flie{\"s}en sie in die Entwicklung europarechtlicher Grunds{\"a}tze mit ein. Dasselbe gilt f{\"u}r die Grunds{\"a}tze, die der Europarat aufgestellt hat. Die Finanzierung widerspricht dem prim{\"a}ren Europarecht, und zwar sowohl Art. 191 EGV als auch den Grunds{\"a}tzen der Gleichheit und der B{\"u}rgern{\"a}he, die auch nach EU-Recht verbindlich sind. Alle diese rechtlichen Anforderungen laufen auf zwei demokratische Grundprinzipien hinaus:
  1. die Gew{\"a}hrleistung einer gewissen B{\"u}rgern{\"a}he (bzw. \"Staats\"ferne) der Parteien und
  2. die Gew{\"a}hrleistung von Gleichheit zur Sicherung der Offenheit und Fairness des politischen Wettbewerbs.
Die Verordnung verletzt beide Fundamentals{\"a}tze mehrfach: Die Klassifizierung der Parteib{\"u}ndnisse als \"politische Parteien\" widerspricht dem Parteibegriff. In den Mitgliedstaaten der Europ{\"a}ischen Union stellen die Mitgliedschaft nat{\"u}rlicher Personen sowie die Aufstellung von Kandidaten bei Wahlen unabdingbare Voraussetzungen f{\"u}r die Anerkennung als politische Partei dar. Dieser einheitliche Parteienbegriff, der ein Minimum an B{\"u}rgern{\"a}he der Parteien sichern soll, hat auch europarechtliche Relevanz. Die Parteib{\"u}ndnisse erf{\"u}llen in ihrer jetzigen Form beide Begriffselemente nicht. In den Statuten aller europ{\"a}ischen Parteib{\"u}ndnisse wird nat{\"u}rlichen Personen, wenn {\"u}berhaupt, nur eine Nebenrolle zugewiesen. Die Aufstellung von Kandidaten bei Europawahlen wird von den nationalen Parteien Jagenommen. Den Parteib{\"u}ndnissen fehlt somit genau das, was politische Parteien im Kern ausmacht. Die Parteib{\"u}ndnisse sind deshalb keine Parteien im Sinne des Art. 191 EGV. Die Verordnung entbehrt damit von vornherein der europarechtlichen Grundlage. Ohne B{\"u}rger als Mitglieder und die Aufstellung von Kandidaten bei Europawahlen k{\"o}nnen die Parteib{\"u}ndnisse auch die ihnen durch Art. 191 EGV zugewiesenen Funktionen nicht erf{\"u}llen. Sie k{\"o}nnen weder den \"politischen Willen der B{\"u}rger\" zum Ausdruck bringen noch ein \"europ{\"a}isches Bewusstsein\" herausbilden, wie dies Art. 191 verlangt. Beides kann nach demokratischen Grunds{\"a}tzen, zu denen sich auch die Europ{\"a}ische Union bekennt (Art. 6 Abs. 1 EUV), nur von unten nach oben erfolgen und nicht, wie von der Verordnung vorgesehen, von oben nach unten. Damit k{\"o}nnen Parteib{\"u}ndnisse erst recht nicht als \"Parteien auf europ{\"a}ischer Ebene\" im Sinne des Art. 191 EGV anerkannt werden. Die vorgesehene {\"o}ffentliche Finanzierung der Parteib{\"u}ndnisse verst{\"a}rkt die B{\"u}rgerferne noch. Sie nimmt den Parteib{\"u}ndnissen den Anreiz, sich um nat{\"u}rliche Mitglieder und eine Verwurzelung in der gesellschaftlichen Sph{\"a}re zu bem{\"u}hen. Die von der Verordnung vorgeschriebenen 25 Prozent Eigenmittel werden de facto aus Beitr{\"a}gen der Fraktionen des Europ{\"a}ischen Parlaments, aus Zuwendungen der nationalen Mitgliedsparteien und aus \"Parteisteuern\" von Abgeordneten stammen, also wiederum zu einem Gro{\"s}teil aus {\"o}ffentlichen Mitteln. Damit ist eine Finanzierung von bis 100 Prozent aus {\"o}ffentlichen Mitteln vorprogrammiert. Das ist mit dem Grundsatz der B{\"u}rgern{\"a}he nicht vereinbar. Das Gesamtvolumen der {\"o}ffentlichen Mittel wird nicht in der Verordnung festgelegt, sondern lediglich im j{\"a}hrlichen Haushaltsplan. Dadurch wird einer {\"u}berm{\"a}{\"s}igen Erh{\"o}hung der Mittel Vorschub geleistet, da jede Kontrolle des in eigener Sache entscheidenden Parlaments fehlt. Erh{\"o}hungen gehen leicht in der Vielzahl von Haushaltstiteln unter. Die ohnehin segmentierte, schwach ausgepr{\"a}gte {\"o}ffentliche Kontrolle wird weiter geschw{\"a}cht. Der Rat muss dem Haushalt zwar zustimmen. Es besteht aber ein Gentlemen's Agreement, wonach der Einzelplan des Parlaments als dessen alleinige Angelegenheit behandelt wird und der Rat ihn unbeanstandet passieren l{\"a}sst. Es ist deshalb zu erwarten, dass die f{\"u}r das Jahr 2004 vorgesehenen 6,5 Millionen Euro bald sprunghaft ansteigen werden. Im Gespr{\"a}ch sind bereits jetzt 100 Millionen Euro pro Jahr. Das absehbare unkontrollierte Hochschie{\"s}en der {\"o}ffentlichen Mittel, zu dessen Verhinderung das deutsche Bundesverfassungsgericht die \"absolute Obergrenze\" entwickelt hat, widerspricht ebenfalls dem Grundsatz der B{\"u}rgern{\"a}he. Echte politische Parteien im Sinne von Vereinigungen von B{\"u}rgern, die dem Parteibegriff des Art. 191 EGV gen{\"u}gen und die dort definierten Funktionen erf{\"u}llen w{\"u}rden, existieren auf europ{\"a}ischer Ebene nicht und bekommen auch keine realistische Chance, sich zu entwickeln. Denn sie werden von der {\"o}ffentlichen Finanzierung faktisch ausgeschlossen. Da es f{\"u}r sie keinen Sinn macht, sich an Regionalwahlen zu beteiligen, m{\"u}ssten sie in sieben Staaten mindestens drei Prozent der Stimmen bei der Europawahl erringen, um auch nur an dem 15 Prozent-Anteil teilzuhaben. Das sind prohibitive Voraussetzungen. Die in der Verordnung definierten Kriterien dehnen die bestehendeUngleichheit des europ{\"a}ischen Wahlrechts auch auf die {\"o}ffentliche Parteienfinanzierung aus, ohne dass daf{\"u}r eine Notwendigkeit best{\"u}nde. Eine Stimme aus Luxemburg hat nicht nur sechzehn mal so viel Gewicht bei der Verteilung der Mandate wie eine Stimme aus Deutschland, sondern wird den betroffenen Parteien auf europ{\"a}ischer Ebene auch sechzehn mal so viel {\"o}ffentliche Mittel einbringen. Das ist mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar. Und eine prim{\"a}rrechtliche Au{\"s}erkraftsetzung des Gleichheitssatzes, wie sie f{\"u}r das Wahlrecht ausnahmsweise besteht, gibt es f{\"u}r die Parteienfinanzierung nicht. Auch nationale Sperrklauseln bei den Wahlen zum Europ{\"a}ischen Parlament f{\"u}hren zu Ungleichheiten. In Staaten ohne Sperrklausel kann ein Mandat teilweise bereits mit rund 30.000 Stimmen erreicht werden. In Deutschland sind daf{\"u}r rund 1,6 Mio. und damit 53 mal so viele Stimmen erforderlich. Dies widerspricht ebenfalls dem Gleichheitssatz. Die Reservierung von 85 Prozent der Mittel f{\"u}r die im Europ{\"a}ischen Parlament vertretenen Parteien und die Gleichverteilung der restlichen 15 Prozent beg{\"u}nstigt die Etablierten {\"u}berm{\"a}{\"s}ig. Auch das widerspricht dem Gleichheitssatz. Die Offenhaltung des politischen Wettbewerbs erfordert eine st{\"a}rkere Ber{\"u}cksichtigung m{\"o}glicher Herausfordererparteien. Eine mit dem Gleichheitssatz vereinbare Alternative w{\"a}re die alleinigeOrientierung des Zugangs zu den {\"o}ffentlichen Mitteln und derMittelverteilung an den bei der Europawahl errungenen Stimmen. Dieses Verfahren w{\"u}rde verhindern, dass Parteien, die in gro{\"s}en Staaten oder in Staaten mit Sperrklausel kandidieren, krass benachteiligt werden. Das Ankn{\"u}pfen ausschlie{\"s}lich an den Ergebnissen der Europawahl ist auch funktionsgerecht, da die Ergebnisse von National- und Regionalwahlen nichts mit Programm und Anliegen der Europaparteien zu tun haben und deshalb nicht einzusehen ist, warum sie die H{\"o}he der {\"o}ffentlichen Mittel von Europaparteien beeinflussen sollen. Die Kontrolle der Zugangskriterien durch das Pr{\"a}sidium {\"u}bertr{\"a}gt die Entscheidung einem politischen Gremium. Das begr{\"u}ndet die Gefahr, dass die etablierten politischen Kr{\"a}fte unliebsame Konkurrenten mit vorgeschobenen Gr{\"u}nden ausschlie{\"s}en. Zu begr{\"u}{\"s}en ist aus deutscher Sicht das Verbot, Spenden {\"u}ber 12.000 Euro anzunehmen. Auch die Publikationspflicht f{\"u}r Spenden {\"u}ber 500 Euro erscheint als Fortschritt, wenn die Verordnung in diesem Fall auch den Eindruck vermittelt, sie lie{\"s}e die St{\"u}ckelung von Spenden zu, sodass die Obergrenze leicht umgangen werden kann. Die Kontrollen sind zu schwach ausgepr{\"a}gt. Wirksame Sanktionen fehlen fast v{\"o}llig. Lediglich die R{\"u}ckzahlung unrechtm{\"a}{\"s}ig erhaltener Mittel ist in der Verordnung vorgesehen. Fehlerhafte Angaben im Rechenschaftsbericht, das Nicht-Deklarieren von gr{\"o}{\"s}eren Spenden, selbst die Annahme verbotener Spenden bleibt ohne rechtliche Konsequenz. Weder sind derartige Spenden abzuf{\"u}hren, noch sind Strafvorschriften vorgesehen. Der Europ{\"a}ische Gerichtshof k{\"o}nnte die Verordnung aber noch stoppen. Dass eine rechtlich und politisch derart mangelhafte {\"o}ffentliche Parteienfinanzierung auf EU-Ebene eingef{\"u}hrt wurde, d{\"u}rfte vor allem drei Motiven der Akteure entspringen, die dem Begriff der politischen Klasse immanent sind:
  1. an {\"o}ffentliche Gelder heranzukommen und zu diesem Zweck den EU-Haushalt anzuzapfen,
  2. den Parteienwettbewerb zu ihren Gunsten zu manipulieren, um unliebsame Konkurrenten zu behindern, und
  3. Kontrollen des in eigener Sache entscheidenden Parlaments m{\"o}glichst auszuschalten.
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